U2 Elevation Tour
Elevation Tour 2nd leg: Europe
: Hallenstadion - Zurich, Switzerland
Geglückte Flucht in die neue Sparsamkeit
Thomas Kramer (published on 2001-07-26)Source: Tages-Anzeiger
Geglückte Flucht in die neue Sparsamkeit
BILD DIETER SEEGER
Wie ein Messias im wogenden Meer der Hände: Bono Vox, der Sänger von U2, am Montag im Hallenstadion.
Reduktion als Konzept, um den Fallstricken der eigenen Vergangenheit zu entgehen: Die Popband U2 gastierte auf ihrer Europatournee in Zürich.
Von Thomas Kramer
Dass man nie wirklich zu den eigenen Anfängen zurückkann, dass es nie wieder so sein wird, wie es einst war - diese Binsenwahrheiten demonstriert derzeit die irische Popband U2 am eigenen Beispiel. Ihr aktuelles Album "All That You Can't Leave Behind", im vergangenen Herbst erschienen, ist ein Schritt zurück zu den Wurzeln, zum klaren, knappen Rocksong. Die Versuche, dem elektronischen Trend hinterherzurennen, gipfelnd in der Platte "Pop" von 1997, sind passé, den gigantischen Bühnenprojekten früherer Jahre hat man abgeschworen. Aber trotzdem können U2 das Rad der Geschichte nicht einfach zurückdrehen, zum unschuldigen Gestus ihrer triumphalen Anfangsjahre zurückkehren.
Beginn noch bei Saallicht
Das Glück der vier Musiker ist, dass sie das wissen. So gelingt ihnen auf der gegenwärtigen Tour der Spagat zwischen alter Musikalität und neuer Natürlichkeit auf überraschend beiläufige Weise. Vor dem eigentlichen Auftritt werden alte Heuler ab Band eingespielt, unter anderem die Beatles, und im Rückblick denkt man, dass gerade das ein guter Beginn war, obwohl es einem vorher ziemlich peinlich vorkam. Denn das stimmte die Zuhörer darauf ein, dass es um ein ganz normales, fehleranfälliges Konzert gehen würde, und nicht um einen dieser synthetischen Multimediagrossanlässe, die seit der digitalen Revolution auch im Musikbereich überhand genommen haben. Danach kam die Band auf die Bühne und begann noch bei Saallicht zu musizieren. So viel Understatement war nie, seit U2 über die Bühnen der Welt ziehen.
Das Zauberwort heisst Reduktion. Vier Männer um die vierzig machen Musik. Ohne dass sie zugleich in einem postmodernen Kasperlitheater die Mechanismen des Popbetriebs demaskieren oder linkskatholische Erlösungsgottesdienste zelebrieren wollen. Natürlich hat Sänger Bono Vox noch immer den Hang zu überrissenem Pathos - und bisweilen fällt er am Zürcher Konzert auch aus der Rolle, schreitet übertrieben theatralisch über den Laufsteg und gestikuliert weit draussen über den Händen Tausender wie ein Messias im wogenden Meer. Das mag damit zu tun haben, dass er übers Wochenende in Sachen Weltverbesserung unterwegs war. Beim G-8-Gipfel von Genua traf er sich mit mehreren Staatschefs, um für seine Initiative zur Entschuldung der ärmsten Länder der Welt zu werben. Dass diese politischen Aktivitäten Bonos - er setzt sich auch für die Bekämpfung von Aids in Afrika ein - höchst unterstützenswert sind, ändert nichts daran, dass allzu ungebrochen dargebrachtes Pathos im neuen U2-Konzept fehl am Platz wirkt.
Die neue Sparsamkeit schlägt sich auch im Dekor nieder. Statt zahllosen Monitoren, den neusten Elektrogadgets, einer bis ins Letzte ausgeklügelten Bühnentechnik, hinter der die Musiker verblassen, wie das jahrelang bei U2-Konzerten Standard war, gibt es nun einzig eine herzförmige Laufbahn, die von der Bühne weit in den Saal hinaus führt. Hier geht Bono auf Tuchfühlung mit seinen Fans, greift nach Händen, schäkert mit den Nächststehenden. Ein Zuschauer darf gegen Ende tatsächlich mit auf den Laufsteg und bei einem Song Akustikgitarre spielen - sinnigerweise ist er aus Belgien angereist. Umrahmt wird der Auftritt von einer spärlichen, erstaunlich stilvollen Licht- und Effektdramaturgie. Ein Scheinwerferkegel für jeden der vier Musiker und ein Videobildschirm für jeden, dazwischen ab und zu karge Grafik. Vor allem aber die Band selbst, die sich abmüht. Drummer Larry Mullen und Adam Clayton am Bass bleiben den ganzen Abend unauffällig, doch Bono und der energiestrotzende Gitarrist The Edge legen sich ins Zeug. Ein richtiges Konzert also, Wut, Schweiss und Tränen, kein Dienstleistungspaket.
Authentizität könnte man das nennen, ein Schlüsselbegriff der Rockkultur - zur Entmythifizierung sei sogleich angefügt, dass auch sie designt wurde, als Planspiel entworfen, genau wie die grössenwahnsinnigen Supershows vergangener Tourneen. Sogar vom selben Regisseur. Aber die abgespeckte Wiedergeburt passt zu unserer Zeit und zum Alter der Musiker. U2 haben die Kurve gekriegt, gerade noch rechtzeitig.
Fein dosierte Wucht
In Zürich beginnt das Konzert am Montag gut, mit einigen frenetisch bejubelten Hits schon in der ersten Hälfte. Die Stimmung in der schwülheissen Halle ist festlich, der Sound dicht - und doch schleicht sich bei Bonos Vortrag trotz allem Engagement bisweilen eine etwas oberflächliche Routine ein. Im Kopf des Kritikers bildet sich bei Konzertmitte der Eindruck, dass U2 live etwas mehr wagen sollten, dass die Band zu sehr auf Nummer Sicher geht, allzu deutlich auf die Euphorisierungskraft von Hymnen wie "Sunday Bloody Sunday" vertraut. Ein gutes Konzert im oberen Segment also.
Doch dann kommen melodisch vielschichtigere Songs - "Stay", "Bad", "Mysterious Ways" - und der berufsmässig skeptische Eindruck ist wie weggeblasen. Dieser zweite, nachdenkliche Teil ohne die richtig grossen Hits überzeugt nun auf der ganzen Linie. Bono konzentriert sich aufs Singen, der Sound kommt federnd und kompakt, die Einzelinstrumente bleiben erkennbar und verschmelzen doch zu einer geballten Ladung an fein dosierter Wucht.
Diese Stücke sind auch komplexer und ungewöhnlicher aufgebaut als die grossen U2-Hits mit ihrem anschwellend erzählenden Aufbau in den Strophen, die in triumphal gehaltenen Refrains kulminieren, von Bono stets in den hohen Regionen gesungen, wobei die plakativen Refrainslogans mehrfach wiederholt werden. Anschliessend biegt das Quartett auch schon in die Zielgerade: "Bullet the Blue Sky" und "With or Without You", noch einmal wird begeistert mitgesungen und -geklatscht, das Hallenstadion ist im Bann der Band.
In Predigerpose
Bono nutzt die Pausen zwischen den Songs zu einigen Politstatements, propagiert seine Entschuldungsaktion, verweist auf das Gipfeltreffen in Genua ("We're angry, that's ok. But violence is never right!"), beschwört den Frieden und prangert die weltweit grössten Waffenexportländer an. Sendungsbewusstsein ist Bonos Hauptcharakterzug, und er will - bei aller demokratisch demonstrierten Publikumsnähe - zweifellos der Primus inter Pares bleiben. Derjenige, der sich in Predigerpose werfen darf.
Umso wichtiger, dass neben ihm The Edge steht, der Gitarrist, der live sämtliche Register zieht und dabei ganz locker bleibt. Er schichtet auf seiner Gitarre Lage um Lage, nur um sie anschliessend wieder zu zerstückeln, er hebelt die Töne in die Rückkopplung, knarzt im Gebälk und fräst sich durch die Nacht. Er ist der Chef der laufenden Tour und scheint es besonders zu geniessen, einfach wieder spielen zu dürfen.
Die neue Entwicklung zeigt U2 nicht auf dem Weg zurück zum Gestern, aber doch wieder bedeutend näher bei sich selbst. Und das ist gut so.
Often plagiarised, never matched.