U2 Elevation Tour
Elevation Tour 2nd leg: Europe
: Hallenstadion - Zurich, Switzerland
Nackte Töne, verletzte Stimme
Stefan Geissbühler (published on 2001-07-25)Source: Berner Zeitung
U2 im Hallenstadion Zürich
Nackte Töne, verletzte Stimme
In 19 Minuten war das Hallenstadion zwei Mal ausverkauft: U2 spielten am Montag und Dienstag in Zürich. Bonos lädierte Stimme und die bis aufs Gerüst abgemagerten Songs schafften ungewohnte Nähe.
«So may I introduce to you - Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band»: Mit dröhnender Unterstützung der Beatles und bei vollem Saallicht schlendern Bono und seine Mannen auf die Bühne und greifen sich die Instrumente. Diese interessieren vorerst aber niemanden, denn U2 zeigen Herz. Ein solches haben sie nämlich auf den Boden des Hallenstadions gelegt und drehen darauf ihre Runden. Bis tief ins Publikum reicht der herzförmige Laufsteg. Bono zum Anfassen.
Bono ist nackt
«Hoi zäme, wie gohts?», radebrecht der irische Nationalheilige in artig auswendig gelerntem Zürichdeutsch und trachtet danach, die Distanz zu den verzückten Gesichtern unter ihm zu durchbrechen. Bono tut gar einen erstaunlichen Schritt: Schon nach wenigen Minuten entledigt er sich seiner vor Jahren aufgesetzten Sonnenbrille - Bono ist nackt. Nackt ist auch seine Stimme. Bono Vox (lat. für gute Stimme) kämpft mit argen Stimmproblemen und überlässt hohe Partien dankend dem Publikum oder seinem Gitarristen The Edge. Bonos Falsettstimme droht immer wieder herzzerreissend zu brechen, wirkt verletzlich, verletzt.
U2 heute: Rock pur
Das schafft wirkliche Nähe. Und nicht die üblichen abgedroschenen Spielchen mit dem Publikum, die Nähe suggerieren sollen. Resultat: U2 pur - Stimme, Gitarre, Bass, Schlagzeug. Genau so hat die 25-jährige Band ihr letztes Album «All that you can't leave behind» eingespielt - ohne das Ganze mit süsslichen Streichersätzen zu übertünchen. «Wir experimentieren mit Gitarre, Bass und Schlagzeug - wirklich!», sagte Bono im November 2000 im Interview mit dieser Zeitung.
Live kämpft die Band mitunter mit diesem Konzept. Die bis auf ihr Gerüst abgemagerten Songs bringen den Schwung der Show teilweise zum Erliegen, der Spannungsbogen weist Brüche auf.
Gewaltig abgespeckt
Aber: Es sind authentische und willkommene Brüche, denn U2 haben bewusst und gewaltig abgespeckt. Vorbei ist der grössenwahnsinnige Gigantismus der 1992/93 inszenierten «Zoo-TV»-Tour, mit welcher U2 sich selber zu Marionetten des eigenen Mythos degradierten. Die Legende erzählt, dass bei einer «Zoo-TV»-Show in Sydney gar ein Basstechniker den Bass von Adam Clayton zupfen musste, der im Hotel seinen Rausch ausschlief. Das Publikum merkte nichts - es war abgelenkt von Videowänden, Feuerwerk, Tänzerinnen und ostdeutschen Trabbis, die oberhalb der Bühne schaukelten. Auf der jetzigen «Elevation»-Tour, die U2 in Europa während 50 Tagen zu 30 Konzerten in 15 Städten bringt, ist das unvorstellbar. Die Band kann - und will - sich nicht verstecken. Und vom Pathos der früheren U2 ist nur noch wohltuend wenig zu merken.
Der Prediger ist verstummt
Wohltuend auch, dass Bono sein einst ausgeprägtes Sendungsbewusstsein verloren zu haben scheint: Nur kurz erwähnt er mit erhobenem Finger den G-8-Gipfel - Bono hat dort mit Regierungschefs parliert - und lässt die Menge zur Anti-IRA-Hymne «Sunday Bloody Sunday» das Motto «violence is never right» skandieren. Drohend schreit er am Schluss die Frage «Switzerland - what do you have on the bank?» ins 12 000-köpfige Publikum, um sich gleich danach in Zürichdeutsch von diesem zu verabschieden: «Huere geil», sagt Bono und entfliegt im Band-eigenen Jet nach Nizza - zwischen den zwei Zürich-Konzerten sind Ausruhen und Stimmepflegen angesagt. Balsam auf Bonos lädierte Stimme dürften sicher auch die 1,7 Millionen Franken sein, die sich nach den zwei Zürcher Konzerten in der Bandkasse befinden werden.
Often plagiarised, never matched.